Weinprobe 2022

Volle Kanne – halbvolle Gläser

Die Weinprobe 2022 der Zunft Höngg stand im Zeichen innovativer, nachhaltig produzierter Weine aus Spanien. Qualität braucht Zeit – im Weinbau und im Zunftwesen: 598 Jahre lagen die Gründungsjahre der vertretenen Zünfte auseinander. Der Zunftwein mit Jahrgang 2020 wurde zur Erleichterung des zurücktretenden Obmanns der Rebbaugruppe diskussionslos abgenommen.

«Wenn schon, denn schon» sagten sich wohl die beiden Winzerinnnen aus Spanien, die an der Weinpropbe 2022 der Zunft Höngg ihre Weine präsentierten. Sie brachten am 17. Juni nämlich nicht nur einige ihrer Kreationen, sondern gleich auch die iberische Hitze mit. Immerhin rund 30 Grad notierte das Thermometer an diesem Tag in Höngg, und so wurde die Besammlung und Begrüssung der teilnehmenden Hundertschaft mit etwas über 60 Zünftern und ihrer 24 Gäste sowie weiteren Mitwikenden kurzerhand vom heissen Vorplatz in die kühlen Abfüllerei des Weinkellers Zweifel 1898 verlegt.

Raritäten aus Spanien und vom Klingen

Für das Organisationskommittees freilich ein bloss kleiner Test seiner Flexiblität. Es sei daran erinnert, dass es in den Vorjahren mit dem Konkurs des Zunftlokals und der Pandemie weit grössere Herausforderungen erfolgreich meisterte. Nur so blieb die jährliche Abfolge des Anlasses ungebrochen, dank Einsatz, Kreativitiät, der Lage angepasster Innovation und Durchhaltewillen.

Tugenden freilich, die zum Weinbau und damit auch zur Höngger Weinbauernzunft gehören. Gute Weine bedürfen zunächst der Sonne und Wärme, und eben auch einer gewissen Resistenz. Notwendig ist aber auch – neben der sorgfältigen Pflege – die Anpassung an die Klima- und weiteren Verhältnisse, wie dies die beiden Referentinnen eindrücklich erläuterten: Beide produzieren auf ihren Weingütern im nördlichen Teil des Weinbaugebiets von Rioja angepasst an Lage, Topografie, Bodenqualität und Marktgegbenheiten.

Noelia Callejo (Weingut Bodegas Felix Callejo) sowie Melanie Hickmann (Weingut Bodegas Bhilar) verwenden dabei alte, ressistente Rebsorten, die sie biologisch anbauen. Dazu gehört die Fokussierung auf Qualität und der Verzicht auf Menge. So entstehen Nischenprodukte: Im Weingut Bodegas Bhilar, das konsequenterweise mit Pflugpferden statt Traktoren bewirtschaftet wird, beträgt die jährliche Gesamtleistung rund 70’000 Flaschen. Als Folge der systematischen Ausrichtung auf die Mikrolage der einzelnen Anbauflächen umfasst das Sortiment aber nicht weniger als 15 verschiedene Weine.

Zünftige Diversität und Inklusion

Einige davon waren durch Zunftgesellschaft anlässlich der Weinprobe im (ebenfalls kühlen) Fasskeller zu verkosten. Insgesamt zehn Weine, wie es sich gehört in maximal halbvollen Gläsern, dafür mit vollem, eigenständigem Charakter.

So entstanden an den Tischen zahlreiche Fachgespräche, manchmal vielleicht auch Simpeleien, denn Wein bleibt allen önologischen Fachkenntnissen und emotionalen Bezügen zum Trotz eine individuelle und subjektive Geschmacksfrage. Vielleicht deshalb zitierte Zunftmeister Walter Zweifel bei seiner Begrüssung und Eröffnung des Abends keinen Geringeren als Martin Luther mit den Worten «Bier ist Menschenwerk, Wein aber ist von Gott».

Im Wein vereinigt sich Tradition mit Moderne, etwa so wie im Zürcher Zunftwesen, was bei den Ehrengästen des Zunftmeisters sichtbar wurde: Jürg Honegger und Christinan Keller vertraten als Zunftmeister und Statthalter die bereits 1336 als berufliche Interessenvertretung gegründete Zunft zur Schmiden.

Demgegenüber hat die 1867 gegründete Stadtzunft, die von Zunftmeister Peter Furrer und seinen 2. Statthalter Marc Körsgen vertreten wurde, einen moderneren Ursprung im Kreise von Gewerbetreibenden und zukunftsgerichteten Zünftern. Eingedenk der Tatsache, dass die Höngger 1934 als Quartierzunft gegründet wurde, darf man feststellen, dass an der Prüfung der progressiven Weine drei prototypische Zünfte miteinander in Berührung kamen. In der heutigen Sprache könnte man auch von einem Bespiel gelebter Diversität und Inklusion berichten.   

Ein Urgestein tritt in die zweite Reihe

Gut Ding will aber Weile haben, und wie so oft, bringt erst die richtige Mischung das Beste im Leben hervor. Dies gilt auch für den Höngger Zunftwein der traditionell an der Weinprobe geprüft und je nach Befund auch abgenommen wird. Der zur Abnahme stehende Jahrgang 2020 wurde von Säckelmeister Werner Flury stellvertretend für die zunfteigene Rebbaugruppe nicht unbescheiden als «weltweit einmaliges Mosaik» angepriesen.

Nach verdächtig kurzer Degustation schilderte der für die unabhängige Abnahme zuständige Statthalter Thomas R. Schönbächler sein Geschmackserlebnis völlig unvereingenommen als «fruchtig, mit Rosmarin-Bouquet, typisch Weinberg Klingen, gewaltig im Abgang mit Schoggi ein idealer Begleiter zum Hauptgang». Nach dieser kundigen Beurteilung wenig überraschend verkündete er die Abnahme, womit der Zunftwein ausgeschenkt wurde, auf dass sich die Anwesenden von der Urteilsfähigkeit des Säckelmeisters und des Statthalters überzeugen konnten.

Es ist nicht unwesentlich das Verdienst des Obmanns der Höngger Rebbaugruppe, dass nach vorliegenden Informationen und trotz kritischster Evaluationskriterien seit Beginn des zünftigen Weinbaus 1984 noch keinem Jahrgang die Abnahme verweigert worden ist. Während der letzten 18 Rebjahre lag diese Aufgabe bei Urs Bodmer, der sich davor bereits 15 Jahre als Säckelmeister um die Zunft verdient gemacht hatte.

Zunftmeister Walter Zweifel verabschiedete ihn in Würdigung seines langjährigen Wirkens mit dem Zinnbecher für «Besondere Verdienste». Seiner Umsicht und Motivationskraft sei es zu verdanken, dass Jahr für Jahr und trotz aller landwirtschaftlichen Herausforderungen wie Frost, Hagel und Mehltau stets gute Trauben für einen guten Wein produziert wurden. Urs Bodmer hat sicher prägend gewirkt, und schon jetzt darf man gespannt sein auf seinen letzten 2021er Jahrgang, der in den Fässern reift und im nächsten Jahr das heikle Abnahmeprozedere zu bestehen hat.


Michael Stäheli (Text)

Markus Spaliner (Fotos)