Anlässlich des Jubiläums 75 Jahre Zunft Höngg fand die traditionelle Weinprobe für einmal nicht unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt: Ins Kirchgemeindehaus geladen waren alle Höngger Vereinspräsidenten und -präsidentinnen. 33 von 47 waren der Einladung gefolgt, bereut hat es wohl niemand. Hier der Einblick eines Nichtzünfters Fredy Haffner (Redaktor „Höngger“)
Die Weinprobe ist einer jener Abende im Zunftjahr, den die Zunft-Frauen jeweils zur freien Verfügung haben – und anderntags dafür vielleicht einen Kater mehr in der Wohnung vorfinden. Alle? Nein, mindestens eine nicht: Barbara Gubler. Denn ihr Mann Martin – in der Zunft als Nicht-Weintrinker bekannt, hat sich bislang von den Weinproben immer ferngehalten. Nun hatte er aber keine andere Wahl, war er doch als Zünfter und SVH-Vereinspräsident gleich doppelt geladen. Dies, so meinte Zunftmeister Hanspeter Stutz scherzend, sei auch der wahre Grund gewesen,
dieses Jahr alle Präsidentinnen und Präsidenten der Höngger Vereine zur Weinprobe einzuladen. Barbara Gubler aber wurde der freie Abend damit gleich doppelt geraubt: Zuerst hatte sie ihn, weil ihr Martin an der Weinprobe ist – und dann hatte sie ihn eben doch nicht, weil sie als Präsidentin von Volley Höngg ebenfalls der Einladung gefolgt war. Bereuen indes sollte sie es nicht. Nach dem Apéro, der «armen Höngger Weinbauernzunft» von den lokalen Höngger und Weininger Produzenten grosszügig spendiert, verkündete Stubenmeister Daniel Fontolliet die zehn Gebote der Weinprobe, mischte da und dort zur eigenen Verblüffung das Traktandum einer tags zuvor besuchten Tagung ein und liess dann seinen Gästen galant den Vortritt in den festlichen Saal. Die Ehrengäste durften am Vorstehertisch Platz nehmen, den übrigen Gästen der Zunft waren Tische in den vorderen Rängen zugewiesen und den minderen Zünftern blieb die ungewohnte Qual der Wahl, neben welche Dame sie sich nun zur Weinprobe platzieren wollten.
Agglo-Falle und Zunftwein
Dann trat die «Türler-Schälle» in Aktion. Jetzt bloss nichts Falsches denken, denn die «Türler-Schälle» ist bloss eine jener Tramglocken aus dem hintersten Teil der VBZ-Fahrzeuge, auch bekannt als «Agglo-Falle». Eine solche (am Jubiläums-Sechseläuten 2009 der Zunft Höngg von Stadtrat Andreas Türler als Gastgeschenk überreicht) diente dem Stubenmeister erstmals, um für Aufmerksamkeit zu sorgen. Im Verlauf des Abends sollte klar werden, dass das Zunftarchiv bald um ein Geschenk des Stadtrats reicher sein und Fontolliets «alte Geiss» – seine bisherige Geissenschelle – bald wieder für Ruhe und Ordnung im Zunftlokal sorgen würde. Nichts mit einer alten Geiss zu tun hatte jedenfalls, was an diesem Freitagabend auf dem Teller gelandet war, denn dort kamen vier delikate Gänge daher, jeder begleitet von zwei Weinen der Region, die von Wein-Journalist Andreas Keller und den Produzenten vorgestellt wurden.
Der Zunftwein 2009, ein 2008er Clevner vom Chillesteig, wurde dann von Daniel Fontolliet mit den Worten vorgestellt: «Er ist elegant», dann nahm er einen Schluck und fuhr unter Gelächter fort: «Er hat eine frische Säure, im Gaumen eine prächtige Fülle und einen sensationellen Abgang.» Mit 94 Öchslegraden empfahl er den Wein dem Zunftmeister zur Annahme – was dieser dann auch pflichtbewusst tat und zum Hauptgang guten Appetit wünschte.
Strapazierte Lachmuskeln
Dann folgte das, was zumindest aus Sicht eines Nichtzünfters wohl den besten Teil eines Zunftanlasses ausmacht: die Reden. In spritzigen, launigen Worten werden die Gäste der Zunft «vorgestellt» – oder sollte man sagen «vorgeführt»? Denn gute Zunftreden bewegen sich stets entlang einer Grenze, immer so, dass die Vorgestellten selbst noch darüber lachen können. Hans-Peter B. Stutz ist nicht nur Höngger Zunft-, sondern auch Redenmeister, und so musste sich sein erster Gast, Peter Schmid, Zunftmeister aus Wollishofen, so einiges anhören – zur Freude des ganzen Saals.
Wie Stutz von Schmids zweifelhaftem Können als Segler auf dem Zürichsee erzählte oder davon, dass er bei den Katzen nicht mehr so gut ankomme und deshalb alle seine Reden dem Hund seiner Frau vorlese, das hätte selbst einem Cabaret Rotstift in besten Jahren gut angestanden. Schmid indes konterte. In seiner Gegenrede erfuhr selbst der Schreibende – Schwager des Höngger Zunftmeisters – noch Neues. So, dass Stutz vor einiger Zeit sein BMW-Motorrad auf dem Parkplatz der Weinhandlung Bindella flachgelegt hatte – wobei unklar blieb, ob er dort Wein kaufen wollte oder bloss das Tram überholen. Auch für grosses Gelächter sorgte das Selbstbekenntnis von Schmid, er sei «vom anderen Ufer» – wobei er dies auf die Weinbauregion bezogen hatte, den Versprecher aber selbst nicht zu bemerken schien.
So wurden in Reden und spontanen Gegenreden alle Gäste und der Zunftmeister traditionell «vorgestellt», bis hin zum Quartiervereinspräsidenten Ueli Stahel, von dem zu erfahren war, dass er mit Stolz zum Kassier des Skiclubs Heinzen berg gewählt worden sei – Stutz klärte ihn dahingehend auf, dass Bündner die Zürcher prinzipiell am liebsten hätten, wenn sie die Ferien im Voraus bezahlen und am besten gar nicht kommen.
Erst nach Mitternacht ging der kurzweilige Abend zu Ende und der «Höngger» glaubt, es im Sinne aller anwesenden Nichtzünfter und –zünfterinnen zu sagen: Gäbe es das Traktandum, alle Weinproben künftig so offen zu gestalten, es wäre sofort angenommen, selbst wenn man eiligst noch einen Verein gründen müsste, um eingeladen zu werden.