Sechseläuten 2022

Die Zunft Höngg kann noch Sechseläuten!

Prächtiger Umzug nach zweijähriger Zwangspause

Der Zunftmeister und sein Statthalter mit den Ehrengästen; vlnr: Hansruedi Stadler, Nadja Lang, Walter Zweifel, Simon Stadler Thomas R. Schönbächler, Marco Castellaneta

Positives Denken zahlt sich aus: Endlich konnte am letzten April-Wochenende das Sechseläuten nach zweijährigem Ausfall wieder stattfinden. In der Corona-Pandemie stehen die Zeichen derzeit (und hoffentlich weiterhin!) auf Entspannung, und wettermässig sorgte Petrus zumindest halbwegs zum Rechten: Kurz vor Beginn des Umzugs der Zünfte am Nachmittag des 25. April schloss er die Regenschleusen, sodass die zahlreichen Besucherinnen und Besucher des Zürcher Frühlingsfests trocken blieben und sich sogar einiger Sonnenstrahlen erfreuen konnten.

Erst nachdem der Böögg sein gerechtes Ende auf dem Scheiterhaufen gefunden hatte, setzte der Regen wieder ein. Fast 38 Minuten dauerte sein Überlebenskampf – für den Sommer 2022 verheisst das zwar nichts Gutes, aber das Wetterglück zum Höhepunkt der Sechseläuten-Ausgabe 2022 sorgte für farbenfrohe Stimmung und entschädigte zumindest teilweise für den verregneten Kinderumzug am Vortag. Nass wurden die teilnehmenden Zünfter erst bei ihren gegenseitigen Besuchen auf den Zunftstuben am Abend nach der Hinrichtung des Bööggs – doch lieber ein feuchtes als gar kein Sächslilüüte!

Grossaufgebot der Zunft Höngg

Mit über 250 Teilnehmenden, darunter 98 Höngger Zünfter der Jahrgänge 1928 bis 1991 mit 34 Gästen, 14 Gesellen, 56 MusikerInnen, 51 Ehrendamen, Zunftfrauen, -kinder und Betreuerinnen, 13 ReiterInnen und drei Fuhrwerken inklusive Urner Musikkapelle war das schönste Zürcher Stadtquartier am Umzug nicht zu übersehen.

Dieses zählt übrigens zwei Drittel der Einwohner des Gastkantons Uri, und so kann es schon beinahe als Coup gelten, dass Zunftmeister Walter Zweifel den einzigen Urner Nationalrat, Simon Stadler, zusammen mit dessen Vater Hansruedi Stadler, Alt-Landammann und Alt-Ständerat als Ehrengäste der Zunft gewinnen konnte. Zu diesen gehörten auch Nadja Lang, CEO und Präsidentin der ZFV-Unternehmen, Marco Castellaneta als Präsident des Vereins

Die Schweizer Schlösser und Direktor Museum Aargau sowie Rolf Birchler Alt-Zunftmeister der Luzerner Wey-Zunft. Weitere Gäste der Zunft waren zudem Urs F. Meier, Direktor des Lenzburger Museums Burghalde, sowie vom Fête des Vignerons Sabine Carruzzo und Jean-Daniel Rogivue.

Grundlegendes und Unbeschwertes

Im neu eröffneten Restaurant Dupont am Beatenplatz, welches erstmals als Zunftstube diente, waren somit Alt und Jung, Stadt und Land, Gross und klein, Mann und Frau vertreten. Eine Vielfalt, wie sie vielleicht nur bei den Hönggern anzutreffen ist und besonders auch beim Tanz von Vater und Sohn Stadler mit den Ehrendamen zu den Klängen des Urner Gassenfegers „Zoge am Boge – dä Landamma tanzet“ zum Ausdruck kam.

Eingelöst wurde damit eine Schuld aus dem Jahr 1994, als Hansruedi Stadler bei einem Abstimmungserfolg der von ihm als Bergkantons-Vertreter unterstützten Alpeninitiative eine entsprechende Tanzeinlage versprochen hatte. So geht also gelebte Demokratie, an deren Grundelemente Freiheit, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit der Zunftmeister in seiner Rede zur Begrüssung erinnert hatte.

Er ermahnte daran, sich dieser Werte bewusst zu bleiben und für die eidgenössischen Traditionen und hilfsbedürftigen Mitmenschen solidarisch einzustehen, gerade auch vor dem Hintergrund der Wende in der europäischen Geschichte, wie wir sie derzeit miterleben müssen.

Zunftbesuche hüben und drüben

Nach seinem, dem Grundsätzlichen gewidmeten, Auftakt forderte der Zunftmeister seine Gesellschaft auf, berechtigte Sorgen und dunkle Gedanken nach dem irischen Motto «Wenn der Frühling grüsst, dann hüpft das Herz!» für einige Stunden zu vergessen. Es folgten Reden zur Vorstellung der Ehrengäste und deren Gegenreden, ihrem diversen Hintergrund entsprechend, eine bunte Mischung aus Pointen mit zeitgeschichtlichem Bezug, garniert mit Witz und hie und da mit einer sympathischen kleinen Zote oder Provokation.

Es ging hin und her, genau wie das durch das Fenster zu beobachtende Aprilwetter, dessen Regenwolken sich Mitte Nachmittag rechtzeitig vor dem Umzug lichteten. Schon zuvor über Mittag hatten Höngger Kinderdelegationen den drei neu ins Amt gekommenen Meistern der Quartierzünfte Hard, Oberstrass und Letzi die Grüsse der Zunft Höngg überbracht.

Abschied von einem jungen Urgestein

Am Umzug dann, der dem Apéro und Mittagessen folgte, präsentierte sich diese in schönster Tracht und Pracht, wobei die nicht wenigen Gäste erstmals in einen neuen Umhang gekleidet waren.

Nach der Hinrichtung des Bööggs ging es für das Abendprogramm zunächst zurück ins Dupont zum Nachtessen. Bevor der Harst von da zum Auszug startete, verabschiedete der Zunftmeister den Dirigenten der Zunftmusik: Nach 20 Jahren hat sich Bernhard Meier entschieden, die musikalische Leitung des Musikverein Zürich-Höngg in neue Hände zu geben.

Nichtsdestotrotz führte das Spiel den Auszug im mittlerweile wieder eingesetzten Regen und zu fortgeschrittener Stunde für Rede und Gegenrede zu den Zünften Schwammendingen, zur Schiffleuten und zur Saffran.

Umgekehrt Besuch erhielten die «Stubenhocker» von der Zunft zur Meissen, der Gesellschaft zur Constaffel sowie der Zunft zum Weggen. Den Abschluss fand der Höhepunkt des Zunftjahrs mit der traditionellen Mehlsuppe weit nach Mitternacht und den folgenden, begehrten Wienerlis.

Gut gemeisterte Organisationsarbeit

Der aufwändige Anlass ging zur Erleichterung der Vorsteherschaft wunderprächtig und reibungslos über die Bühne, was nicht zuletzt auch den zahlreichen Helferinnen und Helfern im Hintergrund zu verdanken ist. Ein Teil der akribischen Vorarbeiten überdauerte die zweijährige Zwangspause und musste bloss reaktiviert werden.

Ein nicht unerheblicher anderer Teil aber musste komplett neu geplant und vorbereitet werden, auch wegen der zusätzlichen Herausforderung mit dem neuen Lokal. Als einziger (und vom Stubenmeister Beat Schmid selbst eingeräumter) Regiefehler bleibt zu berichten, dass sich die Zunftgesellschaft zur Begrüssung beim Singen des Wahlspruchs von 1937 nicht von den Plätzen erhoben hatte. Man darf somit festhalten: Die Höngger Zunft kann noch Sechseläuten!


Michael Stäheli (Text)

Markus Spaliner (Fotos)