Sechseläuten 2019

Höngger Zunft-Betrachtungen zum Sechseläuten 2019

Strassburg als erste ausländische Gaststadt, ein «Böögg», dem es „den Hut lüpft“ und Walter Zweifels erstes Sechseläuten als neuer Zunftmeister der Zunft Höngg: Drei Gründe, das Sechseläuten 2019 noch lange als unvergesslich in Erinnerung zu behalten.

Manches war anders als in den Vorjahren: Nicht nur bewirtete Zürich am Sechseläuten 2019 die elsässische Stadt Strassburg als erste ausländische Gaststadt und lüpfte es dem «Böögg» den Hut während der Feierlichkeiten zum 500-Jahr-Reformationsjubiläum. Auch für die Zunft Höngg war einiges anders als in früheren Jahren: Walter Zweifel feierte sein erstes Sechseläuten als neuer Zunftmeister und die Zunft selbst, für welche ein früher Umzugsbeginn bereits an dritter Stelle der Zünfte ausgelost worden war, verzichtete für einmal auf einen  Beginn in der «Mühlehalde» und zügelte bereits fürs Mittagessen ins «Au Premier» im Bahnhofbüffet Zürich.

Sechseläuten-Betrachtungen

Um 10:30 Uhr konnte Zunftmeister Walter Zweifel den grossen zünftigen Sechseläuten-Harst im grossen Saal des «Au Premier» begrüssen. Sein besonderer Gruss galt dabei den beiden Ehrengästen Ernst Stocker, Vorsteher der Finanzdirektion des Kantons Zürich, und Röbi Koller, Radio- und Fernsehmoderator, Autor und Journalist. Aus Krankheitsgründen leider nicht teilnehmen konnte der dritte geladene Ehrengast Marco Castellaneta, Direktor Museum Aargau.

Seine Sechseläuten-Betrachtungen widmete Walter Zweifel den Höngger Beziehungen zu Zürich im Verlauf der Jahrhunderte. Einen speziellen Fokus richtete er dabei auf die Zeit der Reformation, während der sich in Höngg Revolutionäres abspielte: 1523 zerstörte ein Bildersturm in der Kirche den gesamten Bestand an Plastiken, Fresken und Büchern, und selbst die Taufregister wurden leider ein Raub der Flammen. Unter Führung des ursprünglich aus Franken stammenden, der Täuferbewegung nahe stehenden Predigers Simon Stump  wurden von den Höngger Bauern in Überinterpretation von Zwinglis Lehren Forderungen nach einem eigenen Pfarrwahlrecht, der Abschaffung der Messe, der Selbstbestimmung in Glaubensfragen, der Abschaffung von Lehen und Leibeigenschaft sowie der freie Zugang zu Jagd und Fischerei gefordert.

Stump wurde dann Ende 1523 des Zürcher Hoheitsgebiets verwiesen. Die komplett puritanisch orientierte Kirchenausrichtung aber verblieb in Höngg bis in die Neuzeit. Ihren Ansichten verpflichtete Pfarrer wie der pazifistisch orientierte Paul Trautvetter (1889-1983) oder der profilierte Theologe und langjährige «Zürcher Kirchenbote»-Redaktor Hans-Heinrich Brunner (1918-1987) legten beredtes Zeugnis davon ab, und Stellung zu politischen Fragen zu beziehen sollte heute mehr denn je Verpflichtung jedes Gläubigen sein.

Ehrengäste und Kinderdelegationen

Der Wädenswil-verbundene Zürcher Regierungsrat Ernst Stocker kann sich wie das Dorf Höngg auch auf historisches Revoluzzertum berufen: Nach dem Ende der Helvetik wollte die selbstbewusste Zürcher Landbevölkerung  ihre neu erworbenen Rechte behalten; die Wädenswiler rebellierten daher  1804 im sog. Bockenkrieg bewaffnet gegen das aristokratische Zürich und brannten das Schloss Wädenswil nieder. Eidgenössische Truppen schlugen den Aufstand dann schliesslich nieder.

Stockers Familie ist als Bauernfamilie seit dem 16. Jahrhundert in der oberen Himmeri auf dem Wädenswiler Berg nachgewiesen, und er selbst  – zürcherischer Finanzdirektor mit ca. 45‘000 Kantonsangestellten und einem Budget von ca. 16 Milliarden Franken –  ist immer noch alle zwei Wochen als Stellvertreter seines Sohnes im Stall tätig.

In seiner Antwort bedankte sich der Regierungsrat für die Einladung. Bei der Betrachtung des Höngger Kostüms fühle er sich stets an seine eigene Tätigkeit erinnert: Die Fältelung der Höngger Kleinjogg-Flotterhose gleiche stark seinem Gesicht nach fünf Tagen Budgetdebatte. Als Geschenk überreichte er der Zunft ein paar Flaschen Kirsch von der Wädenswiler Halbinsel Au.

«Zwillinge» im Zürcher Regierungsrat: Ernst Stocker (SVP) und Mario Fehr (SP)

Röbi Koller näher vorzustellen hiesse eigentlich Eulen in den Rhein zu kippen: Jeder kennt den „Mr. Happy Day“, den Radio- und Fernsehmoderatoren, Autoren und Journalisten, und wünscht sich, einmal im Leben auf dessen «Happy Sofa» sitzen zu können und sich überraschen zu lassen. Die Zunft hat daher keine Mühen gescheut und ein solches Sofa beschafft, auf dem er jetzt Platz nehmen durfte, um seine Huldigung zu geniessen.

Früherer Revoluzzer auch er, den man heute grau meliert und topseriös antrifft: In jungen Jahren beim Piratenradio 24 vom Piz Groppero aus tätig, fand er den Weg via DRS 3 zum Fernsehen und ist heute einerseits als Tour Operator und andererseits mit seiner Firma «Gesprächspartner GmbH» als freischaffender Medienunternehmer unterwegs. Zur Seite steht ihm dabei seine Frau, Regisseurin Esther della Pietra, welche als Überraschungsgast der Zunft ebenfalls auf dem Sofa Platz nehmen konnte.

Für seine Replik präsentierte der beliebte Fernsehmoderator seinen «Hönggy Day»-Koffer, aus dem er die verschiedensten Präsente zauberte und seinem Mit-Ehrengast Ernst Stocker und der Zunft zur verantwortungsvollen Aufbewahrung überreichte.

Auf dem «Happy Sofa»: Röbi Koller mit Gattin Esther della Pietra als Überraschungsgast

Einige Zünfte liessen es sich nicht nehmen, dem neuen Höngger Zunftmeister auf spezielle Art zu gratulieren: Während des Mittagessens wie auch am Abend warteten fünf Kinderdelegationen der Göttizunft zum Widder, der Stadtzunft, der Zünfte St. Niklaus, Oberstrass und Hard sowie eine Jungzünfter-Delegation der «Lindy Hoppers» der Zunft zur Letzi auf der Höngger Stube auf, um ihm zum Amtsantritt die herzlichsten zünftigen Gratulationswünsche ihres Zunftmeisters zu überbringen.

Stellvertretend für alle Kinderdelegationen: Die Zünfterkinder der Zunft St. Niklaus, der Göttizunft zum Widder und die Jungzünfter-Vertretung der «Lindy Hoppers» der Letzi-Zunft

Der Zug der Zünfte

Seit dem 13. Jahrhundert sind die Städte Zürich und Strassburg stets freundschaftlich und solidarisch miteinander verbunden. 1456 hatte sich deshalb eine Zürcher Delegation per Schiff mit einem Topf mit heissem Hirsebrei aufgemacht, um diesen noch warm in Strassburg zu überreichen und so zu zeigen, dass Zürich in Zeiten politischer Not innert kürzester Zeit zu Hilfe eilen könne.

Diese «Hirsebrei-Fahrt» wurde ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zur Erinnerung wenn immer möglich alle 10 Jahre durchgeführt, und so erstaunt es nicht, dass das Zentralkomitee der Zünfte Zürichs (ZZZ) 2019 Strassburg als erste ausländische Stadt zum Sechseläuten nach Zürich eingeladen hat. Auf dem Zürcher Lindenhof wie auch mit einer eindrücklichen Beteiligung am Umzug zeigte Strassburg seine historischen wie auch kulturell-aktuellen Traditionen unter grossem Beifall der Zuschauer.

Nur kurze Zeit folgte bereits an früher dritter Stelle nach den Zünften zum Kämbel und zur Schiffleuten die Zunft Höngg, bewundert und beklatscht von der fröhlichen Zuschauermenge.

„Früher Start“ bedeutet auch eine frühzeitige Ankunft am Sechseläutenplatz, und so blieben bis zum Anzünden des «Böögg» beinahe zwei Stunden, während derer man die Ankunft der anderen Zünfte geniessen konnte, sich mit Freunden und Bekannten zum Gespräch treffen oder den «Böögg» bewundern konnte, der diesmal statt des obligaten «Kratten» ein Barett im Stil des Zürcher Reformators Huldrych Zwingli (14841531) trug.

Zwingli hatte es seinerzeit angesichts der politischen und konfessionellen Realitäten „den Hut gelüpft“, und so entledigte sich zur Feier des 500-Jahr-Reformationsjubiläums auch der «Böögg» bereits nach nur viereinhalb Minuten dieses «Zwingli-Hutes», notabene ohne bei diesem vom Grossmünsterpfarrer Christoph Sigrist mit Segen der Zunftmeister eingefädelten Streichs den Kopf zu verlieren, und zeigte wieder sein gewohntes Kratten»-bedecktes Haupt. Dies sollte aber nicht der letzte Streich des «Böögg» bleiben: Um 18:17:44 Uhr verjagte es den Kopf unter lautem Krachen, obschon die Flammen des Scheiterhaufens ihn noch gar nicht so richtig durchdringend angekokelt hatten, und markierte so das offizielle Ende des Zürcher Winters.

Zunftbesuche am Abend

 Nach dem Nachtessen empfingen der Höngger Zunftmeister und seine Stubenhocker die Auszüge der Zunft zum Kämbel, der Zunft Riesbach und der Zunft zur Zimmerleuten, welche gewohnt-launisch die Grüsse ihrer Meister überbrachten. Deren Sprecher durften dabei jeweils nach getanem Werk auf dem von Röbi Koller eingeweihten «Happy Sofa» Platz nehmen und entspannt-gespannt der Replik und Sprecher-Bewertung des Höngger Zunftmeisters folgen.

Der Höngger Auszug besuchte zur selben Zeit, angeführt vom Höngger Zunftspiel, die Zunft zur Meisen, wo Sprecher Miklós Komáromy deren Zunftmeister Gustav von Schulthess würdigte. Anschliessend wechselte der Harst zur Stube der Vereinigten Zünfte zur Gerwe und zur Schuhmachern im «Baur en Ville», wo Sprecher Ruedi Zweifel den amtierenden Zunftmeister Felix M. Huber zum zünftigen Disput herausforderte. Als letztes besuchte der Auszug die Zunft Hard im Restaurant «Werdgut» beim Stauffacher; Sprecher Urs Erni durfte dort Zunftmeister Till Gontersweiler die zünftigen Grüsse des Höngger Zunftmeisters übermitteln.

Schon in den Vorjahren zerfleischten sich jeweils der Höngger Berichterstatter, der Chronist und der Stubenmeister im Nachgang gegenseitig bei der statistischen Aufarbeitung der Höngger Sechseläuten-Basics. Auch 2019 waren die Statistiken nicht frei von Mehrfach-Nennungen (z.B. bei den beiden Fanfarenbläsern, die beide nochmals separat als Zunftmusiker gezählt wurden), so dass sich der Berichterstatter entschied, sich diesmal auf weniges und ungefähres zu beschränken:

  • Auf der Stube: Total ca. 145 Anwesende (Ehrengäste [2], Zünfter / Zunftanwärter, Zunft- und Küfergesellen, Gäste etc.).
  • Beim Umzug: Doppelt so viele wie auf der Stube, nämlich ca. 300 Teilnehmende (inkl. Reitergruppe, der Zunftmusik « Musikverein Zürich-Höngg», Zünfterfrauen, Ehrendamen und Betreuerinnen, Zünfterkindern sowie einer Schulklasse aus dem Schulhaus Vogtsrain) sowie 10 Reitpferde und drei Zunftwagen.

Ueli Friedländer (Text)

Markus Spalinger (Fotos)