Sechseläuten 2008

Gibt’s dieses Jahr eigentlich einen warmen Sommer? Gibt’s überhaupt einen? Der Böögg vermittelte dieses Jahr nur Ratlosigkeit: Der finale Knall, mit dem der Kopf des Böögg in die Luft hätte fliegen sollen, blieb aus, und erst um 18:26:01 Uhr markierte ein im Skelett allwettertauglich verankerter Kracher mit Donnerschlag das Ende des Winters.

Zunftmeister Hans Peter Stutz mit seinen beiden Ehrengästen aus Politik und Diplomatie, Peter Gomm und Walter Haffner

Auftakt in Höngg

Pünktlich um 11 Uhr – nach dem üblichen Apéro für Ehrengäste und Vorsteherschaft – konnte der Höngger Zunftmeister Hans-Peter B. Stutz im grossen Mülihalde-Saal seine Sechseläutengesellschaft zum traditionellen Zürcher Frühlingsfest 2008 begrüssen.

Sechseläutenbetrachtungen

Seine diesjährigen Sechseläutengedanken widmete Zunftmeister Stutz der heimatlichen Verwurzelung: Wir alle bewegen uns in einer globalisierten Welt, sind ständig unterwegs, schmieden Allianzen hier, erkämpfen uns neue Positionen dort. Wichtig ist es daher, sich immer wieder zuhause zu treffen, sich auf seine Wurzeln zurückzubesinnen, Freundschaften zu pflegen, aufzutanken! Zusammenleben in gegenseitiger Achtung, in wechselseitigem Respekt in Hochachtung vor dem Anderen sei von jedem gefordert. Für Ausgrenzung dürfe es für den denkenden Menschen mit ethischem Empfinden keinen Platz geben.

Vorstellung der Ehrengäste

Im politischen Umfeld tummeln sich die beiden ersten Ehrengäste, welche der Zunftmeister der Sechseläutengesellschaft anschliessend näher bringen durfte.

Regierungsrat Peter Gomm (SP), Vorsteher des Departements des Innern und Vertreter des heurigen Gastkantons Solothurn, ist – obschon mit Zolliker Bürgerrecht eigentlich Zürcher Kantonsbürger – im Kanton Solothurn aufgewachsen und dort verwurzelt. Von Haus aus Jurist, später Gemeinderat von Olten und Kantonsrat, wurde der über die Parteigrenzen hinaus als Brückenbauer anerkannte Sozialdemokrat 2005 in den Regierungsrat gewählt. Er gilt als schneller Denker und reformfreudiger Draufgänger, welcher stets mit sachlichen Argumenten zu überzeugen vermag.

Walter Haffner, Schweizer Botschafter in Israel, hat eine Affinität zu Höngg, welche zünftische Insider nur wenig verwundert: Der Bruder von Marianne Haffner, Lebenspartnerin des Höngger Zunftmeisters, ist wie sie hier im Dorf aufgewachsen und hat selbiges zusammen mit ihr aktenkundig unsicher gemacht. Das Entwicklungschwergewicht legte er dabei weniger auf den wenig geliebten Schulbesuch in hiesigen Schulhäusern als auf sportliche Betätigung: Fussball beim SV Höngg und in Oberstrass sowie Handball bei Pfadi Zürich und Rot-Weiss Zürich. Nach einem Studium der Geschichte und englischer Literatur trat er 1987 in den diplomatischen Dienst ein mit den für dort typischen häufigen Domizilwechseln: Genf, Strassburg, Teheran, Washington, Berlin und schliesslich Tel Aviv.

Nicht nur die Politik, sondern auch die Wissenschaften waren heuer unter den Ehrengästen im Doppelpack vertreten:

Prof. Dr. Gerhard Schmitt, Vizepräsident Planung und Logistik der ETH Zürich, wurde von Zunftmeister Stutz als Wissenschaftler ausserhalb des akademischen Elfenbeinturms vorgestellt, welcher massgeblich für die Planung und Realisierung von Science City auf dem Hönggerberg verantwortlich zeichnet. Dieses „Stadtquartier für Denkkultur“ soll seinen Beitrag dazu leisten, Zürich als Wissensstandort schweiz- und weltweit ganz vorne zu positionieren und als „global player“ zu profilieren.

Prof. Dr. Daniel Wyler nahm am diesjährigen Sechseläuten quasi in Doppelfunktion teil: Einerseits – und aus Höngger Sicht primär – als Ehrengast der Zunft, andererseits aber in seiner Funktion als Dekan der Mathematisch-naturwissenschaftlichen Fakultät auch als Mitglied der Delegation der Universität Zürich anlässlich derer 175-Jahr-Jubiläums. Der Ehrengast erschien daher nicht ohne Grund in historischer Kleidung: Im Zug der Zünfte stellte er später als Leiter des Instituts für theoretische Physik seinen Vorgänger Prof. Erwin Schrödinger dar, welcher 1933 den Nobelpreis für seine Forschungen in der Quantenphysik erhalten hatte.

Prof Dr. Daniel Wyler alias „Prof. Erwin Schrödinger mit alchimistischer Versuchsanordnung zur Herstellung von alkoholischem flüssigem Gold

Während sich die Zünfter und Gäste beim Mittagessen noch an meisterlichen Reden und Gegenreden erfreuten, spielte die Zunftmusik «Musikverein Zürich-Höngg» (ehem. «Musikverein Eintracht Höngg») draussen vor der reformierten Kirche bereits der trotz Regen zahlreich versammelten Höngger Bevölkerung mit gewohnt vielseitigem Repertoire auf.

Platzkonzert vor der Mülihalde

Freudige Kinder in ihren prächtigen Zunftgwändli und Züritrachten mit erwartungsvollen Gesichtern auf die kommenden Stunden und liebevolle Blicke von Zünftersfrauen auf ihre das Zunftkostüm zurecht rückenden Gatten prägten das Geschehen. Hier die grosse Gruppe der Zunftjugend, welche seit Jahrzehnten am Sechseläuten mitläuft. Dort die Rebbauerngruppe mit Stickeln und Charst ausgestattet und unterstützt auch durch Zünftersfrauen, welche erst seit ein paar Jahren ein fester Bestandteil im Höngger Zunftzug sind. Pünktlich um 14.15 Uhr eröffnete der Musikverein Zürich-Höngg auf dem Kirchplatz mit dem rassigen «Concordia»-Marsch Nr. 6 sein Platzkonzert, umrahmt von unter Regenschirmen stehenden Schaulustigen. Die Zunftmusik Zürich-Höngg, eingekleidet in die Höngger Küfertracht, brillierte in der Folge durch weitere Ohrwürmer und zum Abschluss schmetterte sie den obligaten «Sächsilüüte-Marsch».

Text und Fotos: Jean Bollier

Trotz Regen überall gute Stimmung Erste und wichtige Blumen wurden von zarten Frauenhänden an ihre Zünfter, Ehegatten, Partner und Freunde gereicht, verbunden mit dem obligaten Kuss auf beide Wangen und dem Ausspruch: «E schöns Sächsilüüte ». Da schlugen die Herzen der Zünfter ein erstes Mal fast hörbar höher! Was gibt es Schöneres, als diesen traditionellen Tag der Freundschaft mitten im Höngger Zentrum so zu beginnen. Um 15 Uhr hielt das Extra- Tram am Zwielplatz und die 120 Zünfter und Gäste, die Zunftfrauen, die Zunftjugend sowie die Zunftmusik, insgesamt weit über 200 Personen, stiegen in das Tram Richtung Stadt ein.

Der Zug der Zünfte zum Böögg in der Innenstadt

Der Zug der Zünfte war geprägt von einheitlichem Wetter der garstigsten Sorte: Kaum hatte sich der Zunftharst an der Beethovenstrasse aufgestellt, öffneten sich die Schleusen des Himmels, und es schüttete wie aus Kübeln bis zum Umzugsende.

Bereitstellung an der Beethovenstrasse: Zunftmeister mit Ehrengästen und -damen

Im eisigen Graupelregen marschierte die Zunft Höngg an 18. Stelle zwischen den Zünften Schwamendingen und Fluntern auf der neuen Umzugsroute durch verständlicherweise gelichtete Zuschauerreihen zum Böögg: Bürkliplatz – Stadthausquai – Münsterhof – Fraumünsterstrasse – alte Börse – Bahnhofstrasse – Uraniabrücke – Limmatquai – Sechseläutenplatz. Der Verzicht auf den traditionellen Kontermarsch in der Bahnhofstrasse fiel dabei manchem Zünfter schwer, hatte dieser doch immer wieder Gelegenheit geboten, im Gegenverkehr liebe Zunftfreunde zu grüssen und ihnen ein «schönes Sechseläuten» zuzurufen.

Pünktlich um 18 Uhr wurde der Holzstoss mit Nachhilfe von viel Brandbeschleuniger angezündet. Er trotzte dem eiskalten Dauerregen bis 18:26:01 Uhr; dann allerdings markierte nicht wie üblich der detonierende Kopf den Frühlingsbeginn, sondern erst geraume Zeit später, nachdem der Böögg bereits bis aufs Skelett niedergebrannt war, ein in dessen Innereien unwetterresistent verpackter Kracher.

Auf dem Sechseläutenplatz im Graupelregen

 Auszug am Abend

Nach dem Nachtessen im «Au Premier» des Bahnhoffbuffets Zürich besuchte der Zunft-Auszug, angeführt vom Zunftspiel und der grossen Zunftlaterne, unter mittlerweile trockenem Himmel die Gesellschaft zur Constaffel (Höngger Sprecher: Heinz Kubli), die Zunft zur Waag (Michael Hilti) und die Stadtzunft (Marc Bruggmann). Währenddessen wurde der Höngger Zunftmeister Hans-Peter Stutz auf der eigenen Stube von Sprechern der Zünfte Fluntern, Schwamendingen und Waag rhetorisch herausgefordert.

Die Höngger Sprecher (v.l.n.r.): Michael Hilti, Heinz Kubli und Marc Bruggmann

Mit einer heissen Mehlsuppe mit Bürli fand ein trotz garstigem Wetter wunderschöner Tag mit unzähligen persönlichen Begegnungen und Rededuellen auf höchstem Niveau seinen runden Abschluss.

(Text: Ueli Friedländer; Fotos: Markus Spalinger, Michael Hilti)