Fulminanter Abschluss eines Jubiläumsjahrs der Superlative
Unüblich der Rahmen – unüblich die Kulisse: Zum Abschluss ihres 75-Jahr-Jubiläums versammelte sich die Zunft Höngg zum Rechenmahl nicht im Mülihalde- / Desperado-Saal, sondern traf sich vorerst zum Apéro im Fasskeller der Firma Zweifel an der Regensdorferstrasse, bevor sie im Licht ihrer Zünfterlaternen unter klingendem Spiel der Zunftmusik «Musikverein Zürich-Höngg» durch die Wieslergasse in ihr Zunfthaus wechselte, um dort stimmungsvoll-besinnlich das vergangene Jubiläumsjahr nochmals Revue passieren zu lassen.
Jubiläumsapéro im Fasskeller
Unüblich der Rahmen – unüblich die Gäste: Was in anderen Jahren den Ausklang des traditionellen Rechenmahls markiert, bildete diesmal den Auftakt: Der Zunftumgang im Laternenschein, bei dem sich männiglich begrüsst und einige persönliche Worte mit jedem Teilnehmer wechselt. Von wegen „männiglich“: Aus Jubiläumsanlass war diesmal nicht ausschliesslich das starke Geschlecht geladen, sondern Damenanwesenheit war ausdrücklich gefragt.
Und so konnten die Alt-Zunftmeister Hansheiri Zweifel, Fritz Meier und Peter Aisslinger der in Rekordbeteiligung von 137 Personen anwesenden Festgemeinschaft – davon 99 Zünfter und 12 Zunftgesellen – je drei ihrer ehemaligen Sechseläuten-Ehrendamen vorstellen, welche am Abend mehr als nur Farbtupfer in die rot-gilettierte Höngger Zünftermonotonie einzubringen verstanden.
Rechenmahl im «Desperado»-Saal
Im Anschluss an den Fasskeller-Apéro versammelte sich der Festgesellschafts-Harst am Fuss der Holbrigstrasse, entzündete die Kerzen der grossen Zunft- und der persönlichen Zünfterlaternen und marschierte hinter dem Höngger Zunftspiel «Musikverein Zürich-Höngg», durch die Wieslergasse zur «Mülihalde», um dort im grossen «Desperado»-Saal das Rechenmahl in gewohnt-traditionellem Ambiente fortzusetzen.
Ins Zentrum seiner Jubiläums-Martinibetrachtungen stellte Zunftmeister Hans Peter B. Stutz das auf aktuellen Ereignissen basierende geschrumpfte Schweizer Selbstwertgefühl: Was sich mit dem Swissair-Grounding und dem Umgang mit nachrichtenlosen Vermögen seinerzeit angebahnt hatte, ist mittlerweile zu einer enormen Welle von Fundamentalkritik am Sonderfall Schweiz hochgekocht.
Aktive Mithilfe der UBS bei Steuerdelikten in den USA, Steuerstreitigkeiten mit noch bis vor kurzem noch als befreundet geltenden Nachbarstaaten, welche mittlerweile weder vor Verbalattacken noch vor fragwürdigen Steuerfahndungsaktivitäten zurückschrecken, Säbelrasseln und Geiselnahmen eines beleidigten libyschen Beduinendiktators, Justizgerangel um Roman Polanski und schliesslich die widerwärtig plakatierte Anti-Minarett-Initiative. Eine unerwartet gewaltige Tracht Prügel ist auf die frühere Musterschülerin Schweiz herabgeprasselt: „Die Tage des Schweizer Paradieses sind gezählt“ (International Herald Tribune). Haben wir uns selbst falsch eingeschätzt?
Traditionen bewahren heisse nicht, deren Form zu wahren, sondern deren innere Werte, und sich mit diesen neuen Herausforderungen zu stellen: Leistungswille, Verlässlichkeit, Respekt dem Gegenüber, Hilfsbereitschaft gegenüber dem Schwächeren und Demut, wenn es um die eigene Person gehe, seien die Wertegrundpfeiler für einen nachhaltigen, aber auch veränderungsbereiten Traditionenerhalt. Wenn wir diese Werte auch im zünftigen Leben weiter hochhielten, so der Höngger Zunftmeister, werde das Jubiläumsmotto „Vergangenheit feiern – Zukunft leben“ auch über das Jubiläumsjahr 2009 seine Gültigkeit behalten.
Ehrung, Abschied und Neuaufnahmen
Nach 14 Jahren Vorsteherschaft, davon 13 als gestrenger, stets auf die Sparbremse tretender Säckelmeister ist Beat Schelling am Hauptbott 2008 von seinem Amt zurückgetreten. Gewürdigt vom Zunftmeister und unter dem dankbaren Applaus der Höngger Zünfterschar konnte er daher am Rechenmahl den hochverdienten Dank für seine umsichtige Kassenwartschaft entgegennehmen.
Schweigend gedachte die Rechenmahlgesellschaft der im Jubiläumsjahr verstorbenen Zunftkameraden Ernst Spalinger (1921-2008, Zünfter seit 1971) und Heiri Guggenbühl sen. (1920-2009, Zünfter seit1943); anschliessend leiteten brillant intonierte Klänge der Zunftmusik zur Aufnahme von drei neuen Zünftern – Jost Beglinger, Cyril Bollier und René Steiner – über, welche vom Zunftharst mit Freude in ihren Reihen begrüsst wurden.
Würdigung der Ehrengäste
Als Ehrengäste durfte der Höngger Zunftmeister Hans Peter B. Stutz den Riesbächler Zunftmeister Dr. iur. Thomas Sauber, begleitet von Statthalter Ferdinand Schäfer, und Markus Somm, stellvertretender Chefredaktor der «Weltwoche», begrüssen und mit einem rhetorischen Feuerwerk in gewohnt brillanter Manier der Festgesellschaft vorstellen.
Immer wieder unterbrochen von Gelächter und Applaus der begeisterten Gästeschar, konterten die Ehrengäste die pointierten Ausführungen des Gastgebers auf höchstem Niveau. Besonderen Eindruck hinterliess dabei der stellvertretende «Weltwoche»-Chefredaktor, der einer brillanten und auch redezeitlich extrem breit ausgelegten klugen Analyse des Journalistenberufs ein «Weltwoche»-typisches Fazit folgen liess: Recherchiert und analysiert ein Nicht-«Weltwoche»-Journalist ein Sachthema sorgfältig und zieht sein Fazit, ist dies linke Manipulation des Lesers; tut ein «Weltwoche»-Journalist dasselbe, dann ist dies immer nicht-manipulativ, werteneutral und dient ausschliesslich dem Zweck, die Gedanken des Liberalismus und der individuellen wie auch kollektiven Freiheit hochzuhalten.
Gespannt wurde der für spätabends angekündigte Überraschungs-Ehrengast erwartet, zu dessen Ehren zu später Stunde unter konzertierter Choreografie des Höngger Zunftmeisters von den anwesenden Zünftern über 100 Teelichter angezündet wurden. Ein ausgerolltes Transparent lüftete schliesslich das Geheimnis: Die Ehre galt allen anwesenden Zünftern, welche durch ihr grosses Engagement vor und während des Jahresverlaufs dem Projekt «Zunftjubiläum 2009» zum Erfolg und zu breiter Aufmerksamkeit verholfen hatten, kompetent, nachhaltig und hartnäckig geführt von Jubiläums-OK-Chef Walter Zweifel, der für seinen unermüdlichen Einsatz mit langanhaltendem Applaus belohnt wurde.
Text: Ueli Friedländer; Fotos: Markus Spalinger, Michael Hilti