Für einmal stimmte der Spruch „Allen Menschen Recht, getan ist ein Kunst, die niemand kann“ nicht. Der Samstag, 15. November 2008, brachte zwar nicht allen, aber doch vielen Hönggerinnen und Hönggern etwas: Während die Kleinen aus den entferntesten Ecken des Dorfes im Licht ihrer Räbeliechtli zur reformierten Kirche zogen, trafen sich die Höngger Zünfter im Mülihalde- / Desperado-Saal zum traditionellen Rechenmahl; gleichzeitig versammelten sich die Zünfterfrauen und -töchter im Fasskeller der Firma Zweifel an der Regensdorferstrasse zum entsprechenden Alternativ-Anlass.
Begrüssung und Martini-Betrachtungen des Höngger Zunftmeisters
Wer pünktlich um 18:15 Uhr am diesjährigen Rechenmahl im festlich geschmückten Mülihalde- / Desperado-Saal eingetroffen wäre, hätte bereits Einiges versäumt: Bereits 10 Minuten früher hatte Zunftmeister Hans Peter B. Stutz seine 120 Zünfter, Ehrengäste und Gäste bereits offiziell willkommen geheissen.
Seine Martinibetrachtungen widmete der Höngger Zunftmeister dem Zusammenhalt in der Vielfalt. Ausgehend von der anwesenden Festgesellschaft, welche er trotz einheitlicher Bekleidung in prägnanter roter Zünfterweste als archetypisch für eine funktionierende Bio-Diversität bezeichnete, rief er dazu auf, dem Höngger Zunftmodell zu folgen: Unterschiedlichste Persönlichkeiten und Meinungen würden hier im Saal auf engem Raum zusammentreffen und aufzeigen, dass dank freundschaftlichem Zusammenhalt und respektvollem Miteinander eine offene Diskussion und Bewältigung der aktuellen, vielfach vom Eigennutz dominierten Probleme unserer Zeit – wirtschaftliche, soziale und ökologische Missstände etc. – jederzeit möglich sei.
Ehrung, Abschied und Neuaufnahmen
Nach 18 Jahren Vorsteherschaft, davon die letzten 7 als Statthalter (Vize-Zunftmeister), war Jürg Gysi am Hauptbott 2008 von seinem Amt zurückgetreten und in den Harst normalsterblicher Zünfter zurückgekehrt. Gewürdigt vom Zunftmeister als ruhig-ausgewogener Berater, als aktiver Chef Personelles, aber auch als wohlwollend-durchtriebener Strippenzieher im Hintergrund, konnte er unter grossem Applaus der Höngger Zünfterschar am Rechenmahl die wohlverdiente Wappenscheibe entgegennehmen.
Freude und Trauer liegen häufig nahe beieinander, und so musste die Rechenmahlgesellschaft Abschied nehmen von ihrem Zunftkameraden Adolf Küttel (1922-2007, Zünfter seit 1946), durfte sich aber gleichzeitig über die Neuaufnahme der seit langen Jahren im Dorf verwurzelten Dr. iur. Beat Zürcher und Urs Erni freuen.
Würdigung der Ehrengäste
Kein zünftischer Anlass ohne rhetorisches Feuerwerk! Und so fehlte auch diesmal die humorvolle Vorstellung und Würdigung der Ehrengäste durch den Höngger Zunftmeister nicht:
- Zunftmeister Willy Günther von der Zunft St. Niklaus, begleitet von Zeugwart Peter Büchi,
- lic. iur. Bruno Graf, Statthalter des Bezirks Zürich,
- und Guido Bergmaier, Präsident des Radfahrer-Vereins Höngg, zusammen mit Ehrenpräsident Erwin Jaisli.
Obschon die Dörfer ennet des Milchbuck – wie Höngg auch – erst 1934 eingemeindet wurden, hat die Zunft St. Niklaus ihre Gründung schon im Dezember 1933 durchgezogen und damit die Rolle des «first mover» noch vor Höngg für sich usurpiert. Und schneller als Höngg zeigt sich demzufolge auch alles Tun des amtierenden St.Niklausen-Zunftmeisters Willy Günther:
- Will die Zunft Höngg im Jubiläumsjahr ein Sechseläuten-Platzkonzert ihres Zunftspiels auf dem Lindenhof buchen: St. Niklaus war zuerst!
- Einladung eines Zunftmeisters ans Jubiläums-Rechenmahl 2009: Bereits durch St. Niklaus gebucht!
- Liste Höngg-tauglicher Ehrengäste: Bereits von St. Niklaus angefragt!
Böse Zungen behaupten daher, der St. Niklaus-Zunftmeister habe nicht nur für seine gesamte Amtszeit schon sämtliche Ehrengäste verpflichtet, sondern sich auch bereits für die Zeit danach mit den Gepflogenheiten im Zürcher „Alt-Zunftmeister-Stöckli“ vertraut gemacht. Allerdings verwundert dieser unternehmerische Drang zur Leadership kaum, zeigt er sich doch auch in Günthers beruflicher Tätigkeit: Dank ihm gibt es heute kaum mehr ein Fest – egal ob lokal oder national – das nicht durch Günther’sche Lautsprecheranlagen flächendeckend beschallt würde.
Bruno Graf, Statthalter des Bezirks Zürich, hat in seinem Amt polarisiert wie kaum ein Vorgänger vor ihm: Konsequent nahm er stets seine Aufgabe wahr, die Behörden bei der Umsetzung von Aufträgen des Souveräns zu überwachen und falls nötig auf den rechten Weg der Tugend zurückzupfeifen. Wen wundert’s daher, wenn sich da kaum eine echte Liebesbeziehung zwischen ihm und Stadtrat und Verwaltung entfalten konnte. Für diese war Graf stets die institutionalisierte Verbandsrechts-beschwerde, welche es in jeder Form zu bekämpfen galt. Die Zunft Höngg dankt dem abtretenden Statthalter für seine Verdienste im Interesse des Souveräns und wünscht ihm alles Gute im wohlverdienten (Un-)Ruhestand.
Radfahrer-Vereinspräsident Guido Bergmaier ist zwar durchaus in Höngg verwurzelt, was ihn aber nicht davon abgehalten hat, sein zünftiges Glück ennet der Limmat zu suchen und bei der Zunft zur Letzi Unterschlupf zu finden. Gewählt 1988 für 5 Jahre als Radfahrer-Präsident, meldete er nach 10 Jahren seinen Rücktritt an – und feiert heuer sein 20-Jahr-Präsidiumsjubiläum. Bergmaiers Liebe galt allerdings nicht nur dem Fahrrad, auf dem er einzeln wie auch im Höngger Mannschaftsteam mehrfach Schweizer Meisterschaften auf den Strasse wie auch auf der Bahn gewann, sondern auch dem Kunstturnen, und beiden Sportbereichen ist er bis heute treu geblieben: Seit 45 Jahren ist er aktiver Trainer, Coach und Jugend&Sport-Experte im Männer- und Frauenkunstturnen, welch letzteres er seinerzeit pionierhaft gegen vehementesten Widerstand im Schweizer Turnverband einzuführen verstand.
Die Ehrengäste zeigten, dass auch ihnen die hohe Kunst der Rhetorik absolut nicht unbekannt ist, und konterten dem Gastgeber auf höchstem Niveau, belacht und applaudiert von der begeisterten Zünfterschar.
Text: Ueli Friedländer; Fotos: Markus Spalinger